
Lemming-Journalismus: Voneinander abschreiben, bis die EU interveniert
Als Fashionunited vom 27.12.2024 mutmaßte, dass Baumwolle zukünftig in der EU verboten werden könnte, ging ich von einem deutlich verfrühten April-Scherz aus. Doch schon kurze Zeit später wurde ich eines Besseren belehrt. Das Verbraucherportal chip.de, diverse Zeitungen, Rundfunkanstalten und Informationsportale hatten sich dankbar auf die Meldung des drohenden Aus für Baumwolle gestürzt und die Hiobsbotschaft ungefiltert weiterverbreitet. Kein Wunder: schlechte Nachrichten verkaufen sich immer besser als gute!
Falschmeldungen über Baumwolle sind nichts Neues
Bedauerlicherweise ist die Nachricht vom #Baumwollverbot nicht die erste Sau, die im Hinblick auf die Naturfaser medial durchs Dorf getrieben wird. So kursiert seit vielen Jahren die Mär, dass die Produktion von einem Kilogramm Baumwolle den Einsatz von bis zu 20.000 Litern Wasser erfordern kann. So falsch die Behauptung ist, so gerne wird sie noch immer blindlings abgeschrieben. Die muss vor allem dann herhalten, wenn es darum geht, die „einzigartig ökologischen Vorteile“ von Synthesefasern, allen voran der für Sportswear beliebten Polyesterfasern, herauszukehren. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt!
Es steht außer Frage, dass die Baumwollpflanze Wasser zum Wachstum benötigt. Die tatsächliche Menge ist aber von vielen Faktoren wie der Anbauregion und den Witterungsbedingungen, der Sorte, der Bewässerungsart, Monitoringkonzepten etc. abhängig. Wer mehr darüber erfahren will, ist bei der Bremer Baumwollbörse (www.baumwollboerse.de) oder der alle zwei Jahre stattfindenden Cotton Conference (www.cotton-conference-bremen.de) in Bremen bestens aufgehoben.
Baumwolle ist trotz EU-Textilstrategie unverzichtbar
Es steht weiterhin außer Frage, dass die Europäische Kommission mit ihrer Strategie für nachhaltige und kreislauffähige Textilien zur Dekarbonisierung der EU beitragen will. Dazu greift sie – zum erklärten Wohl ihrer nach unaufhaltsamen Klamottenkonsum trachtenden Bürger - rigoros in den Markt ein. Die Zauberformel für verantwortungsbewusste Textilien ist ein kreislauforientiertes Textilökosystem mit innovativem Faser-zu-Faser-Recycling und verpflichtende Mindestmengen recycelter Fasern in Textilien. Diese gelten auch für Baumwolle. Bisher stehen wiedergewonnene Fasern aber noch gar nicht in den benötigten Mengen und der für langlebige Produkte notwendigen Qualität zur Verfügung. Ob daher die von der EU prophezeite Kreislauf-Landschaften tatsächlich bis 2030 blühen, ist trotz der unzähligen Forschungsvorhaben und Unternehmenskonzepte ungewiss. Gewiss ist aber, dass Baumwolle nicht zu ersetzen ist – weder in Kinderkleidung noch in Nachtwäsche, weder in Unterwäsche noch in Strümpfen, weder in Handtüchern und Bettwäsche noch in Mullbinden und Wundpflastern. Auch nicht in Berufskleidung, Geotextilien u.v.a.m.
Im Taumel der Sensationsmeldung
Die ursprüngliche Meldung des Fashion-Onlineportals hat eine Lawine ausgelöst. Hatte die Redaktion noch über die Auswirkungen der EU-Textilstrategie auf die Baumwolle berichtet, ging es kurze Zeit später nur noch um eine Schreckensmeldung – von Hintergrundwissen keine Spur. Als freie Redakteurin entsetzt mich dieser Lemming-Journalismus.
Kurz nach der medialen Panikmache hat die Europäische Kommission übrigens reagiert. Die Gegendarstellung ist nun allerorten zu lesen. Und chip.de hat den Artikel von seiner Webseite gelöscht.